Freitag, 25. Januar 2008

Kunst um der Kunst Willen?

Der Herr der Leichen

Gunter von Hagens und seine fragwürdigen "Körperwelten"

Körperwelten heißt die weltweit berühmteste und umstrittenste
Ausstellung – und zu sehen sind präparierte Leichen. Hamburg
will „in“ sein und reißt sich um Gunther von Hagens’ Exponate
– obwohl nicht einmal die Herkunft der Leichen geklärt ist.

„Wer so lustig ist, muss nicht auch noch gut aussehen“ ist
einer der Sprüche von Radio Hamburg-Moderator John Ment.
Heute ist der Witzlemacher besonders guter Dinge. Er sitzt
neben einer Leiche und hält ihr das Mikrofon unter die Nase.
Die Leiche gehört zu den Plastinaten der Ausstellung
„Körperwelten – Die Faszination des Echten“, und der Modera-
tor weiß, dass er mit dieser Schaufensterdekoration mit
Sicherheit zum Stadtgespräch wird. Und weil die ganze Sache
so witzig ist, trägt er ein Solidaritäts- T-Shirt:
„Ich bin ein Plastinat“.
Die Stimmung ist aufgekratzt. Tja, die Hamburger sind eben
wirklich weltoffen, das findet inzwischen auch der Leichen-
Bastler Gunther von Hagens. Nicht so wie die Münchner, die
so „spießige“ Forderungen an den Anatom stellten wie:
Die Ausstellung soll wissenschaftliche Standards erfüllen
und nicht das Schamgefühl der Menschen verletzen – und wo,
bitte schön, sind die Einverständniserklärungen der Menschen,
die hier plastiniert ausgestellt werden?

Das mit dem Schamgefühl ist in unserer Gesellschaft und ange-
sichts von elf Millionen Besuchern weltweit so eine Sache.
Doch dass viele der Exponate nicht von wissenschaftlichem
Interesse sind, das hat der Anatom Prof. Reinhard Putz von
der Ludwig-Maximilian-Universität in München in einem Gut-
achten dargelegt. Viele Ganzkörperexponate seien „schlicht-
weg als unsinnig zu bezeichnen“.
Und zwar gerade die, die vermutlich die Zugpferde der Aus-
stellung sind. Die Tänzerin etwa, deren Muskeln so vom Knie
abgelöst wurden, dass sie aussehen wie ein hochwehendes
Röckchen.

Aber mal abgesehen von der Wissenschaftlichkeit: Auch im
Gutachten von Professor Putz taucht eine Frage auf, die
die Schau zum Gruselkabinett werden lässt. Wie konnte der
Plastinator das Einverständnis einer jungen Frau bekommen,
sie mitsamt ihrem toten Fötus öffentlich auszustellen?
Das „Exponat“ steht – zusammen mit zahlreichen Föten –
in einem Sonderraum, dem „Anatomischen Kabinett“.
Die Frage blieb bis heute unbeantwortet.
Und viele bezweifeln, dass von Hagens die Einverständnis-
erklärung überhaupt hat. Den Münchner Beamten des Kreis-
verwaltungsreferats legte der Popstar der Leichenkunst
jedenfalls keine einzige Einverständniserklärung vor.
Nach intensiver Beratung mit Experten aus Kirche, Kunst
und Wissenschaft beschloss der Münchner Stadtrat deshalb
fast einstimmig, die Ausstellung nicht zuzulassen.
Von Hagens zog vor Gericht – und gewann. Dem Gericht
genügte im Eilverfahren eine Eidesstattliche Versicherung
des Plastinators, in der er angab, für jede Leiche eine
Einwilligungserklärung zu besitzen.

„Die Angelegenheit ist noch lange nicht zu Ende“, sagt
Sebastian Groth, Sprecher des Münchner Kreisverwaltungs-
referats. „Denn im noch ausstehenden Hauptsacheverfahren
müssen die Einverständniserklärungen geprüft werden.“
Nach Akteneinsicht sind sich Groth und seine Kollegen
nämlich sicher, dass die dort vorliegenden Erklärungen
in keiner Weise ausreichend sind: „Sie sind den Leichen
nicht zuzuordnen und entsprechen nicht den gängigen Stan-
dards.“ In der Wissenschaft werden Leichen mit einem
Zahlencode versehen und sind so reidentifizierbar.

Auch die Journalisten Torsten Peuker und Christian Schulz
glauben, dass von Hagens Menschen ohne deren Wissen und
Einwilligung plastiniert hat. Sie recherchierten unter
anderem in China und Novosibirsk. Aus Novosibirsk wurden
demnach mindestens 50 Leichen an von Hagens’ Heidelberger
Institut geliefert. Ein Anatom der dortigen Medizinischen
Akademie bestätigte den Journalisten, dass sein Institut
Leichen nach Heidelberg geschickt habe.
„In dem entsprechenden Vertrag steht nichts darüber, dass
es sich um Körperspender handeln muss, die ihre Überreste
freiwillig zur Verfügung stellen“, so MDR-Journalist
Torsten Peuker. Vor laufender Kamera sagt der Anatom:
„Das Leichenmaterial kam aus Altersheimen, aus Tuber-
kulose-Krankenhäusern, aus Pflegeheimen. Es wurden nur
die Toten ausgewählt, die keine Angehörigen mehr hatten.“
Abgesehen davon, dass auch das illegal ist, ermittelte
die russische Staatsanwaltschaft, dass das eine glatte
Lüge ist. Alle hatten Angehörige. Doch die seien mit
einer Urne und falscher Asche abgespeist worden.
Svetlana Kretschetova beispielsweise erfuhr erst auf
Nachfrage im Krankenhaus, dass ihr Vater gestorben sei.
In einer Eidesstattlichen Versicherung gegenüber den
deutschen Journalisten erklärte sie, dass man ihr dort
eine Urne ausgehändigt habe.
In Wirklichkeit, so ermittelte die Staatsanwaltschaft,
war die Leiche des Vaters jedoch an von Hagens geschickt
worden. Svetlana Kretschetova ging davon aus, dass von
Hagens ihr die Leiche ihres Vaters zurückgeben würde.
Das habe er bis heute nicht getan, sagte sie den MDR-
Rechercheuren. Kann er vielleicht auch gar nicht.
Denn angeblich gibt es keine individualisierten Ein-
verständniserklärungen aus Novosibirsk. Wo ist die
Leiche von Svetlana Kretschetovas Vater geblieben?
Vielleicht längst verkauft.

Denn das Plastinieren hat sich zum Millionengeschäft
entwickelt. In der chinesischen Stadt Dalian hat von
Hagens „Plastination City“ errichtet. In der Fabrik
mit unterirdischen Produktionshallen fertigen mehr
als 200 Menschen immer neue Leichen. Und die werden
nicht nur ausgestellt, sondern auch verkauft. Knapp
150.000 Euro (damals 300.000 Mark) brachte beispiels-
weise die Lieferung von vier plastinierten Leichen
an die Universität von Tobago, recherchierten die
MDR-Journalisten.

Von Hagens hat es allerdings nicht nur auf die Toten
abgesehen, sondern anscheinend auch auf die Noch-
Lebenden. Christian Schulz traf auch den russischen
Ex-Basketballspieler Alexander Sisonenko. Der 2,40
Meter-Mann ist aufgrund seiner Größe schwer krank,
ärztliche Behandlung kann er sich nicht leisten.
Von Hagens, so sagte er den deutschen Rechercheuren,
habe ihn nach Deutschland eingeladen und ihm medi-
zinische Hilfe in Aussicht gestellt. In Heidelberg
sei jedoch weniger von Sosinenkos Heilung die Rede
gewesen als von seinem Tod. Von Hagens habe ihn
aufgefordert, ihm seinen Körper zu vermachen.
Der Basketballer reiste schockiert ab.
Der Plastinator ließ angeblich nicht locker. Er bot
sogar rund 50.000 Euro (damals 100.000 Mark) als
humanitäre Hilfe. Alles weitere sollte dann mündlich
besprochen werden. Ein entsprechendes Fax liegt den
MDR-Journalisten vor.

Die massive Kritik scheint den Hamburger Senat kalt zu
lassen. Als Markus Schreiber, Bezirksamtsleiter in Hamburg-
Mitte, einige Exponate für die Ausstellung nicht zulassen
wollte, wurde er als „Zensor“ diffamiert, und die Aus-
stellung wurde zur Chefsache erklärt unter Leitung von
Roger Kusch (CDU), Senator für Bezirksangelegenheiten.
Trotz der massiven Vorwürfe und obwohl in München bald
das Hauptverfahren eröffnet wird, sieht der Senat keinen
Handlungsbedarf. Verwaltungsrechtlich sei nichts zu
beanstanden.
Außerdem kann man ja sicher sein, dass die Körperwelten
auch die Kassen der Stadt klingeln lassen. Da ist’s wohl
egal, dass in Deutschland sonst nichts ohne Bescheini-
gungen und Genehmigungen läuft. Auch die Staatsanwalt-
schaft sieht keinen Grund zu ermitteln. Vor allem, weil
die Ausstellung schon „unbeanstandet in so vielen anderen
Städten gelaufen“ ist.

Normalsterblichen stellt sich allerdings noch eine andere
Frage: Wie wollen wir in Zukunft mit dem Tod umgehen? Ist
es bald schick, Omi Fahrrad fahrend im Wohnzimmer aufzu-
stellen, statt sie ins Grab zu legen? Haben wir überhaupt
noch so etwas wie einen gemeinsamen Begriff von Pietät?
Oder sind solche ethischen Fragen angesichts des Plasti-
nationsbooms sowieso out?
Fakt ist, dass Gunther von Hagens schon jetzt der lachende
Sieger ist. Denn seine Leichen haben ihm in Kirgisien und
in China einen Gast- und einen Ehren-Professorentitel
eingebracht – etwas, was ihm in Deutschland bislang ver-
wehrt geblieben ist. Rechtliche Probleme sind für die
weitere Zukunft nicht mehr zu befürchten. Denn er hat
jetzt schon so viele quicklebendige Fans, die ihm liebend
gern ihre Leichen vermachen wollen oder sie ihm längst
vermacht haben, dass er mit Sicherheit mehrere Aus-
stellungen bestücken kann. Und zur Not kann er ja immer
noch seine Leichen verscherbeln…

Autorin: Birgit Müller, Hinz & Kunzt

wo wir schon bei dem Thema ekelhafte
Selbstdarstellung sind - was ist eigentlich aus dem Müll
der Verpackungsevents von Jeanne-Claude & Christo
geworden? ich habe bei meiner Internet-Recherche
bisher keine Antworten gefunden und wäre für
Hinweise dankbar!

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